Hinweis

Für dieses multimediale Reportage-Format nutzen wir neben Texten und Fotos auch Audios und Videos. Daher sollten die Lautsprecher des Systems eingeschaltet sein.

Mit dem Mausrad oder den Pfeiltasten auf der Tastatur wird die jeweils nächste Kapitelseite aufgerufen.

Durch Wischen wird die jeweils nächste Kapitelseite aufgerufen.

Los geht's

Hafen Hamburg: Das große Multimedia-Special

Logo https://geo.pageflow.io/hamburger-hafen

Kapitelübersicht

Text: Peter-Matthias Gaede, Fotos: Luca Locatelli (und weitere)
Zum Anfang
Zum Anfang

I. Ein Schiff wird kommen

Zum Anfang

Eine kleine Erinnerung an alte Hafen-Gefühle

Vollbild
Ach, der Hafen, als noch Ishmael in ihm stand, „den wässrigen Teil der Erde“ zu besehen, um seine Trübsal zu vertreiben. Der Hafen, in dem er an Bord gehen wollte, weil ihm die See „Ersatz für Pistole und Kugel“ sein sollte, Ersatz für Todesgedanken und Nutzlosigkeit: der Hafen in Herman Melvilles „Moby Dick“. Der Hafen, in dem die Matrosen an einem feuchtwarmen Morgen in die Dämmerung hinein geboren wurden, wo sie in Fischköpfe bissen, mit Zähnen, die auch den Mond schlucken konnten. Und in dem sie tanzten und starben, besoffen und schreiend, wie es der Chansonnier Jacques Brel einst mit Pathos besang. Ach der Hafen, in dem sich die Mädchen nach Küssen verzehrten, die nach Salz schmeckten und Teer, wenn ein Schiff kommen würde, endlich kommen würde.

Der Hafen der Muskelkraft, in dem Schauerleute arbeiteten und Tallymann, Kornumstecher, Donkeymänner, Waterclerks. Und Pansenklopper, die „Schietgeld“ erhielten, weil es so stank, wenn sie Tierfelle und –häute von der Salzschicht freischlugen, in der sie aus Südamerika kamen. Während die anderen vom Meer da draußen träumten, durchs Tor zur Welt ihre Sehnsüchte schickten; und bestaunten, was zu ihnen kam. Nicht nur Waren, nicht nur Fässer, Kisten und Säcke. Sondern Menschen, Erfahrungen, Geschichten. Verheißungen. Zu Akkordeonklängen.



Schließen
Zum Anfang
Nach oben scrollen
Nach links scrollen
Nach rechts scrollen
Nach unten scrollen

11 000 000

Bananen werden im Schnitt täglich am O‘Swaldkai entladen, im Jahr 500 000 Tonnen – damit ist Hamburg Deutschlands Bananenhauptstadt

219

Mal liefen Kreuzfahrtschiffe im Jahr 2018 Hamburg an, das größte war am Kreuzfahrtterminal Steinwerder die MSC »Meraviglia«, die Platz für mehr als 5700 Passagiere zu bieten hat

90

Straßenbrücken gibt es im Hamburger Hafen, dazu 51 Bahn­brücken. Die höchste ist die Köhlbrandbrücke mit einer lichten Höhe von 53 Metern

1 800 000

Zeilen Programmcode waren zu schreiben, um per Computer das Container-Terminal Altenwerder (CTA) zu steuern. Das CTA ist weitgehend automatisiert und gilt als eines der modernsten Terminals weltweit

2563

Menschen lebten laut Volkszählung 1951 in Hamburg-Altenwerder. Inzwischen steht vom ehemaligen Dorf nur noch die Kirche St. Gertrud; die Bewohner wurden umgesiedelt, um Platz zu machen für die Hafenerweiterung

103

Nationen gehörten im vergangenen Jahr die Gäste der Seemannsmission Duckdalben an. Seit der Eröffnung 1986 haben Helfer mehr als eine Million Besucher betreut, meist Seeleute

24

Stunden vor Ankunft müssen Seeschiffe bei der Nautischen Zentrale angemeldet werden, größere Schiffe sogar drei bis fünf Tage im Voraus. 27 Nautiker kontrollieren hier den Schiffsverkehr

3 500 000

Holzpfähle, verankert im Elbschlick, tragen die Gebäude der Speicherstadt. 1888 eingeweiht, stehen die Backstein- und Klinkerbauten seit 1991 unter Denkmalschutz

866

Millionen Euro hatte der Bau der Elbphilharmonie gekostet, als sie 2016 endlich fertig war – mehr als sechs Jahre später als geplant. Und mehr als elfmal teurer

512

GEO-Ausgaben sind seit Oktober 1976 (Erstausgabe) erschienen. Die GEO-Redaktion sitzt in Hamburg am Baumwall, direkt am Ufer gegenüber dem Hafen

426,5

200 000

Schmuggel­ziga­retten entdecken Zollbeamte dank der Container- Röntgenanlage in Waltershof im Schnitt jeden Tag(!)

28

Prozent: Um so viel brach der Containerumschlag am Hamburger Hafen von 2008 auf 2009 ein – eine Folge der Finanzkrise. Von diesem Rückgang hat sich der Hafen, hier der Burchardkai, bis heute nicht komplett erholt

115 000

Fahrzeuge fahren täglich auf der Bundesautobahn A 7 durch den Neuen Elbtunnel – wenn nicht gerade wieder eine der vier Tunnelröhren wegen Sanierung für den Verkehr gesperrt ist

15,10

Meter beträgt der maximale Tiefgang für große Schiffe. Sie können nur mithilfe der Flut durch die Elbe einfahren. Der Unterschied zwischen Ebbe und Flut beträgt auf der Höhe von St. Pauli im Schnitt 3,79 Meter, obwohl der Hafen 110 Kilometer vom offenen Meer entfernt ist

Zum Anfang

Vollbild
Und jetzt? Kann ein Hafen noch träumen machen? Die zehnstöckigen Kreuzfahrt-Wohngebirge, die sich mit Namen wie »Magnifica« und »Aurora« vor die Sonne schieben? Die 400 Meter langen Containerschiffe, die bis zu 20 000 stählerne Kisten schultern? Die fahrerlosen Vehikel, die die Fracht auf Züge und Lastwagen laden? Die nahezu menschenleeren Zonen, in denen Computer berechnen, was wohin gehen soll?
  
Der „Hafen 4.0“, von dem sie fachsimpeln. Der digitalisiert sein soll, vielleicht dereinst von Schiffen ohne Kapitän angesteuert. Bald von Kränen ohne Kranführer bewältigt. Vielleicht überhaupt kein großer Hafen mehr, sondern Siedlungszone von Firmen, in denen neben 3-D-Druckern über die intelligente Vermeidung von Warentransporten nachgedacht wird, Bananen ausgenommen. Vielleicht ein Ort, an dem die letzten Lotsen mit Kapitänspatent und Stauer im Bauch der Museumsschiffe sitzen und Historikern erzählen, wozu es Festmacher gab, was die Lascher einst machten. Und was „Schweinebacken“ hieß und „Opferholz“

Was ist zu erleben, noch vom einen und schon vom anderen im Hafen Hamburg, dem nach Container-Umschlagsmenge drittgrößten Europas, dem achtzehntgrößten der Welt? Was tun sie, die dort arbeiten, an den Kaimauern, auf den Schiffen, in den Leitwarten, unter den Brücken? Was schaffen und bewegen sie dort, von Millionen Hafentouristen unbemerkt und ungesehen?
Schließen
Zum Anfang
0:00
/
0:00

Mehr als 50 Interviews und Gespräche, Dutzende Ortsbegehungen: Für den ehemaligen GEO-Chefreporter und späteren GEO-Chefredakteur Peter-Matthias Gaede war ausgerechnet die Geschichte vor der Haustür die aufwendigste seiner Karriere. Seine Mammut-Recherche dokumentierte er mit Hunderten Handy-Bildern, über einige davon berichtet er im Audiokommentar.

Zum Anfang

II. Container

Zum Anfang

Wie eine Kiste den Welthandel verändert hat – und den Hamburger Hafen

Vollbild
Die Zeitenwende im Hamburger Hafen begann am 31. Mai 1968. An diesem Tag legte die »American Lancer« an, das erste Schiff, das seine gesamte Ladung in „Twenty-foot Equivalent Units“ (TEU) an Bord hatte: in 6,06 Meter langen, 2,44 Meter breiten, 2,59 Meter hohen Containern. Die genormten Boxen aus wetterfestem Cortenstahl, inzwischen überwiegend in China gefertigt, sollten rasend schnell die gesamte Schifffahrt revolutionieren: die Umschlaggeschwindigkeiten, die Transportmengen auf den Weltmeeren und die Hafenanlagen. So auch in Hamburg, wo 2002 eines der bis heute modernsten Terminals weltweit entstand, das Container-Terminal Altenwerder, CTA.

Die Maße des CTA sind nicht das Beeindruckendste an ihm; es ist etwa einen Quadratkilometer groß, hat eine 1400 Meter lange Kaimauer, an der 15 Containerbrücken stehen, 80 Meter hoch und in der Lage, Ladung aus 60 Meter breiten Schiffen zu holen. Avantgardistisch an dieser Anlage ist vielmehr ihr Grad an Automatisierung in der gesamten Steuerung, zu der kaum noch Menschen gehören. Menschen sitzen noch in den Glaskanzeln der Brücken, jeweils in Vier-Stunden-Schichten, etwa 50 Meter über Grund. Menschen, die Festmacher, kommen noch, per Funk geordert, um die Leinen festzumachen. Menschen, die „Lascher“, klettern noch durch die „Bays“ der Schiffe, um die Container zu arretieren.

Der größte Teil des Areals aber ist für Zweibeiner off limits, weil dort etwa 100 Automatic Guided Vehicles, fahrerlose Lastwagen unterwegs sind. Mit einer Zielgenauigkeit von maximal drei Zentimeter Abweichung bewegen sie sich auf 19 000 Transponderpunkten, um die Container mit Hilfe von Lasersensoren unter den Brücken im Empfang zu nehmen oder abzuliefern. Die Abläufe auf dem Terminal sind von Programmierern in 300 000 Arbeitsstunden erdacht worden, rund 1,8 Millionen Zeilen Programmcode wurden dafür in eine Software eingespeist, mit der nun auch ein „Dual-Cycle“-Verfahren angewandt werden kann, das gleichzeitige Be- und Entladen eines Schiffes.


Schließen
Zum Anfang
Das Containerterminal Altenwerder gilt als eines der modernsten der Welt. Um 1000 Tonnen Ladung zu löschen, brauchen die Containerbrücken heutzutage nur rund eine Stunde
Zum Anfang

Vollbild
Mon dieu, Charles Aznavour, der große Romantiker, wenn er sein „Emmenez moi“ sang. Zum Container-Terminal Altenwerder würde sein Hafengesang passen wie die Erfindung des Rades zur Raumfahrt. „Nimm mich doch mit zu den Docks, wo Last und Langeweil das Rückgrat mir staucht... Nimm mich doch mit ans Ende der Welt, nimm mich doch mit in die Wunderwelt...“ Im Leitstand des CTA sitzen Männer vor 60 Monitoren, der Operator Wasserseite, der Operator Hinterland, der für die Stapelung an Land verantwortliche „Yardplaner“, die als Prozessteuerer fungieren. Der Rechner ist raumgroß. Und während es bei der »Cap San Diego« noch zwölf Tage dauerte, ihre 12 000-Tonnen-Ladung zu löschen, bewegen sie jetzt die etwa 15-fache Last binnen 36 Stunden, um sie auf Trucks zu verfrachten - und auf Züge, von denen täglich bis zu 200 nach Bayern fahren, nach Prag und nach Budapest, nach Italien, in die Türkei und bis China, maximal 720 Meter lang. Deren Ladung wird am Traingate mit Kameras, Infrarotsensoren und Laserscannern identifiziert.

Keine Leistung mehr? Oder halt eine andere Leistung? Eine andere. Würde man die Container, die jedes Jahr zwischen den Hafenstädten der Welt unterwegs sind, hintereinanderhängen, sie würden 24 Mal die Erde umrunden. Masse. Tempo. Planbarkeit. Richtiges Stauen nach dem „Bay-Row-Tier“-System, das Quer-, Längsrichtung und Stapelhöhe ordnet, gehört dazu.

2013 brach im Arabischen Meer, rund 200 Seemeilen vor der jemenitischen Küste, die 316 Meter lange »MOL Comfort« in der Mitte auseinander. Die 26 Mann Besatzung, mehr sind es nicht mehr auf optimierten „Mega-Carriern“, konnte sich retten, die zwei Teile schwammen noch etwa 19 Seemeilen mit zwei Knoten Geschwindigkeit getrennt voneinander. Dann sank das Vorschiff mit 1600 Tonnen Schweröl auf 3000 Meter Tiefe, das Achterschiff noch 1000 Meter tiefer. Einige der über 4000 Container an Bord, Wert rund 300 Millionen US-Dollar, wurden später an den Lakkadiven angespült. Nur sechs Meter hohe Wellen hatten den Riesen auseinanderbrechen lassen. Ein Konstruktionsfehler, eine Ermüdung des nur 60 bis 70 Millimeter dicken Stahls?
Schließen
Zum Anfang
Viele Dutzend Züge fahren täglich mit Containern beladen nach Bayern, nach Italien, in die Türkei und sogar bis China. 720 Meter können sie lang sein
Zum Anfang

Vollbild
Oder schlicht eine falsche Beladung? Soweit das Unglück der »MOL Comfort« auch entfernt gewesen ist: Genau diese Frage hat jeden Tag auch die Schiffsplaner am CTA Hamburg zu befassen. Welcher der bis zu 14 000 TEU-Container, den ein Schiff am CTA heranbringen oder abtransportieren kann, ist von welchem Kran zu welchem Zeitpunkt an welchem Punkt zu stauen: Das ist die einfache Frage. Die schwierigere: Welcher Container mit welchem Gewicht muss wo in der Bay eines Schiffes versenkt werden, die schweren mit den Maschinenteilen unten, die leichten mit den Kinderdaunendecken oben, um Biege-, Scher- und Torsionskräfte auf den Schiffen auszubalancieren?

Außerdem: Stimmen die Gewichtsangaben für den Container-Inhalt? Wo ist was zu platzieren, sodass es in welchem nächsten Hafen ohne „Umstau“ zu greifen ist? Wie ist der Zugriff auf die Container, die wegen der Tropenpflanzen beheizt werden müssen, wie der Zugriff auf die Kühlcontainer? Und wie ist der wegen der Gasentwicklung zu separierende Container mit Zwiebeln von den anderen zu trennen, wo ist der Container mit dem Uranpulver aus Japan?

Die „Schiffsplaner“ am CTA, die über ihre Rechner Zugriff auf die Frachtdaten der Reedereien haben, Zugriff auch auf Monitore mit den Quer- und Längsschnitten der Schiffe, sind so etwas wie die schnell arbeitenden Gehirne. Sie müssen, wie einer von ihnen sagt, jeden Tag „Tetris für Erwachsene spielen“. Und wenn sie’s nicht können, kippt irgendwo eine Fracht in die See.


Schließen
Zum Anfang
0:00
/
0:00
Zum Anfang

III. In der Wärmestube

Zum Anfang

Klar, es gibt noch Menschen auf den Schiffen. Und im Seemanns-Club »Duckdalben« finden sie Geborgenheit

Vollbild
„Oiler“, die mit den Ölkannen an den 110 000-PS-Maschinen; „Fitter und Repairer“, die mit den großen Schraubschlüsseln unter Deck; „Wiper“, die den Dreck wegwischen: Warum kommen sie so überwiegend von den Philippinen und nicht aus anderen Billiglohnländern?

Weil sie christlich sind. Weil sie Allesesser sind. Weil sie unsere Schriftzeichen verstehen. Alles praktisch auf Schiffen, die unter dem Kommando internationaler Reedereien fahren. „Und weil sie leidensfähig sind“, ergänzt Jan Oltmanns. Nicht, dass er die Filipinos angeheuert hätte. Er ist nur ihr Freund, ihr Kümmerer. Ihr Herbergsvater. Die Herberge: der Seemanns-Club »Duckdalben«, benannt nach den Pfählen in der Mitte des Stroms, an denen manchmal jene Schiffe festmachen, für die es gerade keinen Auftrag gibt.
Oltmans ist Diakon der Seemannsmission, ein Mann, der die Haare noch lang trägt, seine Zigaretten noch selber rollt, und der nicht meint, über den Visionen vom hypermodernen Hafen der Zukunft könnte man schon die Malocher vergessen: die Filipinos, Chinesen, Inder, Ukrainer, Russen. 2017 sind mehr als 33 000 Seeleute in den „Duckdalben“ gekommen, den es seit 1986 gibt: Sie werden mit Kleinbussen von den rund 300 Liegeplätzen im Hafen geholt, meist von einem der vier Container-Terminals, und spätestens um 22 Uhr dorthin zurückgebracht.

Betten gibt es im Duckdalben nicht. Er ist ein Asyl auf Stunden, behängt mit Rettungsringen, tapeziert mit den Fotos müde aussehender Decksleute und Schiffselektriker, eine Wunderkammer voller ausgestopfter Fische, afrikanischer Schnitzereien, Muschelcollagen, Andenkenteller, Wimpel, Danksagungen und Bilder, auf denen exotische Wasserfälle zu sehen sind und Bambushütten, Segelschiffe und Wellenberge.
Schließen
Zum Anfang
Jeder Rettungsring, der in der Seemannsmission »Duckdalben« hängt, hat eine eigene Geschichte: Für viele Seeleute, etwa von den Philippinen, bietet der »Duck­dalben« Heimat in der Ferne und Halt auf festem Grund – der Name bezeichnet die Pfähle im Wasser, an denen Schiffe festmachen
Zum Anfang

Vollbild
Es ist, als würden sich im »Duckdalben« all die Erinnerungen und Mitbringsel zu einer Kuschelecke formieren, von denen es da draußen in der Heavy-Metal-Landschaft des Hamburger Hafens, von der Fläche so groß, dass die Städte Leverkusen oder Ludwigshafen in ihn passen würden, keine mehr gibt.
Das Haus ist voller verbaler Streicheleinheiten: „Live long and happy“, „smiling faces and open arms“. Und im ersten Stock „der friedlichste Ort der Welt“, wie jemand in das Gästebuch geschrieben hat: der „Raum der Stille“ mit offener Tür, darin nebeneinander Gebetsecken für alle großen Weltreligionen und viele kleine, auch für Sikhs und Daoisten.

Der Frühdienst, Festangestellte und Freiwillige, nennt sich „Weltempfänger“; aus 102 Ländern hat er schon Seeleute begrüßt, ihnen Shuttles zu Gottesdiensten oder Karaoke-Bars geboten. Im Laden werden Zahnpasta, Schokolade und Pfefferminz angeboten, am Tresen billiges Bier und Würstchen von Schwein, Rind und Pferd. Eine Bibliothek gibt es, drei Billardtische. Und im wilden Garten vor dem Gebäude, zwischen Bahntrassen und Autobahn, Hochtanks und Containergebirgen: eine Hollywood-Schaukel, ein Schachbrett im Boden und ein kleines Sportfeld für Fußball und Basketball.

Dass trotz der kürzeren Liegezeiten der Schiffe so viele kommen, 2018 war es der einmillionste Seemann, begrüßt mit einer Magnumflasche Bier und einer eingetopften Sonnenblume: Oltmanns führt es auf „die Verarmung des sozialen Lebens an Bord“ zurück. Auch auf die Sicherheitsbestimmungen seit dem Anschlag auf das World Trade Center in New York, der zu immer strikteren Zulassungsbeschränkungen auf die Schiffe geführt, die fliegenden Händler und endgültig auch die „Dockschwalben“ an den Kaimauern vertrieben habe.
Schließen
Zum Anfang
0:00
/
0:00
Zum Anfang

IV. Am Dirigentenpult

Zum Anfang

Wie 400 Meter lange Riesen zu bändigen sind. Die Arbeit von Hafenkapitän und Hafenlotsen

Vollbild
Das Wasser ist ihr Problem. Ausgerechnet. Es fließt nicht immer tief genug, nicht überall breit genug. Es ist zu schlammig, hält nur selten still. „Deutschlands größter Seehafen“ ist in Wahrheit ein Binnenhafen am Fluss, trotzdem von Ebbe und Flut betroffen, was den Wasserspiegel auf Höhe St. Pauli um 3,79 Meter senkt und hebt. Und permanent so viele Sedimente anspült, dass selbst Ausflugsboote an ihrem Anleger manchmal im Schlick steckenbleiben.

Und die Zufahrt ist schmal. Auf den 110 Kilometern von der Elbmündung bis nach Hamburg dürfen sich allenfalls Schiffe begegnen, deren Gesamtbreite nicht mehr als 90 Meter beträgt. Nicht also zwei Schiffe, die durch die Straße von Malakka fahren können, durch den Panama- oder Suezkanal. Keine zwei „ultra large vessels“, wie sie von der Hafenwirtschaft so dringlich erwartet werden.

Und das macht die Arbeit in den Verkehrsleitzentralen des Hafens speziell, beim Hafenkapitän, bei den Hafenlotsen: Welches Schiff darf wann kommen, muss in der Deutschen Bucht warten, muss gegebenenfalls schon ab Gibraltar „slow steaming“ betreiben, also seine Geschwindigkeit reduzieren? Und welches Schiff mit welchem Tiefgang darf wann ablegen, um auf der Elbe die Flutwelle zu erwischen, die es braucht, um nicht auf Grund zu laufen?

Nur zweimal am Tag öffnet sich für etwa eine halbe Stunde bis zwei Stunden ein Zeitfenster, in dem sich die Strömungen von Ebbe und Flut derart neutralisieren, dass sich ein 180 000 Tonnen schweres Schiff in ein Hafenbecken manövrieren lässt. Dieses Fenster zu verpassen, bedeutet eine Wartezeit von etwa elf Stunden, einen Horror für die Reeder. Und was ist dann abzusperren für sämtlichen sonstigen Schiffsverkehr? Und wie ist auf die herrschenden Windstärken zu reagieren bei solchen Manövern, wenn der Wind nicht auf 2000 Quadratmeter Segelfläche trifft, wie bei einer »Gorch Fock«, sondern seitwärts auf 16 000 Quadratmeter Stahl?
Schließen
Zum Anfang
Betreutes Schippern: Vor Teufelsbrück entlassen die Hafenlotsen Jens Uwe Garber (l.) und Götz Bolte (r.) das auslaufende Schiff in Richtung Nordsee, nachdem sie den Container­frachter sicher durch den Fluss manövriert haben. Über die Außenleiter kehren sie zum Boot der »Hafenlotsenbrüderschaft« zurück
Zum Anfang

Vollbild
Hafenkapitän Jörg Pollmann hat eine 6,5 mal 2,5 Meter große Videowand und interaktive Peiltische, um das alles zu beobachten. Radarstationen, schwenkbare Videokameras, UKW-Kontakte stehen ihm und den 30 Mitarbeitern zur Verfügung, um Wegzeitdiagramme, Vorfeldsteuerungen, Abstandsmessungen zu erstellen. Vor drei halbrund angeordneten Monitorreihen sitzen sie, auch mit den Millionen Peildaten versorgt, die von den ständig im Einsatz befindlichen Schiffen zur Wassertiefenmessung kommen. Ab Windstärke sieben erteilt Pollmann „Großschiff-Stopps“; ab Windstärke sieben halten auch zehn Schlepper ein Containerschiff nicht mehr unbedingt. Und bei Nebel haben Tanker Fahrverbot.

Aber Pollmann vertritt „die verkehrlichen Belange“ im Gesamthafen, erteilt „Auslaufverbote“, wenn ihm technische Defizite an Schiffen gemeldet werden, was er „drei- bis viermal im Monat“ macht und im Extremfall dazu führen kann, dass ein afrikanischer Frachter zweieinhalb Jahre in Hamburg festliegt. Das nervt die Betreiber, dankbar müssen sie ihm trotzdem sein. Er garantiert den pfleglichen Umgang mit ihren Werten. Mit Werten, die sich - Gestehungskosten eines Schiffes, Fracht und Treibstoff zusammen – leicht auf eine halbe Milliarde Euro summieren können.

500-Millionen-Dampfer, die die Elbe heraufkommen! Es ist klar, dass Pollmanns Dienststelle vor jeder Einführung eines neuen Schiffstyps nach Risikoanalysen und Strömungsmodellen verlangt, nach Simulationen, in denen der Ernstfall durchgespielt wird. Und er hat da auf seiner Seite auch die Hafenlotsen, die sich wohl ungern als die Fahrlehrer der Kapitäne bezeichnen lassen würden. Es aber sind.

Tim Grandorff ist einer der beiden „Ältermänner“ der Hamburger Hafenlotsen. Netter Titel, der noch nach Zeiten klingt, als das Dienstgebäude am Bubendeyweg entstand. Nach 1914, nach Schiffen, die noch mit Kohle fuhren. Aber Grandorff ist Co-Chef einer etwa 70-köpfigen Gruppe von Freiberuflern, die ebenfalls auf modernste Informationssysteme zurückgreift, auf „portable pilot units“ und Schiffidentifikationsmodule. Sieben Fortbildungsmaßnahmen pro Jahr absolvieren die Hafenlotsen, dazu Prüfungen auf Hör- und Sehvermögen, auch Fitness-Tests, um die Außenleitern der Schiffe erklimmen zu können.

An Bord, wenn sie dann auf der Brücke neben dem Kapitän aus Singapur stehen, neben dem ägyptischen Rudergänger und mit Sprechkontakt zum Iraker in der Maschine, müssen Grandorff und seine Lotsen dann kommandieren, wie ein Stahlmonstrum an die Kaimauer zu bringen ist. Etwa 50 000 Mal im Jahr, immer so sachte, dass sowohl die Mauern wie die Leiber der Schiffe das aushalten. Auch Hafenlotsen müssen das Kapitänspatent haben, also mindestens zwei Jahre auf See gewesen sein.
Schließen
Zum Anfang

V. Die Abfangjäger

Zum Anfang

Gefälschte Turnschuhe, Kokain und Tigerpenis-Pulver: Was der Zoll so alles findet, wenn er sucht

Vollbild
Wenn der Kaffee Kaffee ist, das Erz nur Erz, das Spielzeug aus Shanghai nur einfach Blech, wenn die Kreuzfahrttouristen keine Wal-Salami aus Norwegen mitbringen, keine Schildkrötenpanzer, kein Tiger-Penis-Pulver von ihrer Weltumrundung: Dann ist alles gut. Zwischen 8000 und 9000 Seeschiffe laufen Hamburg in jedem Jahr an; mehr als 900 000 Kreuzfahrttouristen und fast neun Millionen Container, außerdem über 45 Millionen Tonnen „Flüssiggut“, „Sauggut“, „Greifergut“, „Stückgut“ haben oder nehmen sie an Bord. Und wenn in den Autoreifen Zigaretten kommen, sich in Baumaschinen gepanschte Potenzmittel verstecken, die angeblichen Taschenlampen Elektroschocker sind, zwei Millionen gefälschte Markensportschuhe in 200 Containern eintreffen: Dann ist das ein Fall für den Zoll.

Nur: wie finden, was da alles unerlaubt anlandet? Es geht nicht um Lappalien. Mit dem Endverkaufserlös von 3,8 Tonnen Kokain aus Lateinamerika, 2017 aufgespürt, hätte sich ein Gutteil der 800 Millionen teuren Elbphilharmonie finanzieren lassen. Also patrouillieren sie mit Schnellbooten im Hafen, mit Wärmebildkameras, um auch nachts verdächtige Bewegungen auf Kaimauern und Schiffen erkennen zu können. Kokain wird manchmal an Bojen in die Elbe geworfen und dort per Sportboot in irgendein Versteck gebracht.

Einfach für den Zoll, wenn etwa die Fracht eines Schiffes aus Curaçao als Elektroschrott deklariert ist. Elektroschrott ausgerechnet aus der Karibik ausgerechnet für Deutschland? 700 Kilogramm Rauschgift waren an Bord. Nur: So blöd wird „täterseitig“ selten vorgegangen. „Risikoanalysen“ müssen den Zöllnern helfen, je zu einem Drittel aus Hinweisen, aus Erfahrung und aus Bauchgefühl gemacht. Die Hinweise kommen zum Beispiel vom Maritimen Sicherheitszentrum in Cuxhaven, das angekündigte Schiffe nach Ampelfarben klassifiziert. Ein Schiff aus Cartagena, Kolumbien, noch nicht aus jahrelangem Linienverkehr bekannt, mit merkwürdig großen Containern für die deklarierte Fracht: Die Wahrscheinlichkeit ist dann groß, dass es ein „Rotschiff“ ist, das inspiziert werden sollte.
Schließen
Zum Anfang
Zutritt verboten für »lebende Wirbeltiere«: In Hamburg-Waltershof lässt der Zoll Container röntgen, mit einer Anlage, die 50-mal stärker ist als ein Gepäckscanner am Flughafen. Lohn des Aufwands: Seit 1996 haben Manfred Lindloff (r.), stell­vertretender Zollamtsleiter, und seine Kollegen 5,7 Tonnen Kokain aufgespürt
Zum Anfang

Vollbild
Aber sie klettern auch zu Routine-Visiten an Bord, vier Mann, manchmal auch zwölf, für 90 Minuten, für vier Stunden, um dann etwa auf der 368 Meter langen »Yang Ming Wellness« in den Kettenkästen und auf der Brücke, in den Trockenproviant-Räumen und Kühlkammern oder in den Versorgungscontainern auf den Rettungsbooten nach Schmuggelware zu suchen. Es sind keine gern gesehenen Besuche, wie zu merken ist, wenn die Deckswache den Fahndern nicht den Fahrstuhl zur Brücke anbietet, sondern auf die Treppen in den siebten Stock verweist. Und sie bringen auch selten die großen Coups.

Die sind immer mal wieder der Containerprüfanlage am Hauptzollamt Waltershof vorbehalten, einem Röntgentunnel mit 2,5 Meter dicken Wänden und 16 Tonnen schweren Strahlenschutztoren, Zutritt für „lebende Wirbeltiere“ verboten. Die Fahrer also müssen aussteigen, wenn sie ihren Truck mitsamt Container in die Anlage gesteuert haben; mit zehn Megaelektronenvolt, dem Fünfzigfachen eines Gepäckscanners am Flughafen, wird die Fracht dann von „Linearbeschleunigern“ vertikal und horizontal durchleuchtet.

„Ein Albtraum in der Bildauswertung“, sagt Pascal Eimert, Chef der Anlage, „sind Umzugscontainer“. Trotzdem hat sein Team zum Beispiel die Waffe gefunden, schwer zu orten zwischen all den Umrissen von Elektrogeräten, Weinflaschen, Möbeln, mit denen eine Familie in die neue Heimat aufbrechen wollte. Seither üben die Neuen beim Zoll, an diesem Wimmelbild ihre Wahrnehmung zu schärfen.

Mit Erfolg. Zwischen Inbetriebnahme der Anlage 1996 und dem Frühjahr 2018, bei etwa 500 000 Durchleuchtungen, wurden unter anderem 1,5 Milliarden unverzollte Zigaretten gefunden. Warenwert und nicht eingetretener Steuerschaden all der Schmuggelware und Produktpiraterie: über eine Milliarde Euro.

Aber der Wettlauf geht weiter. Nicht nur weil jedes aufgeflogene Versteck dazu animiert, neue Methoden der Camouflage zu finden, weil mit Bleiummantelungen für heiße Ware gearbeitet wird, um die Röntgenanlage, und mit Benzin, um die Nase von Spürhunden außer Kraft zu setzen. Und manchmal mischt sich in das Staunen der Zöllner auch ein gewisses Ohnmachtsgefühl. Zum Beispiel, wenn sie auf einen kompletten Elefanten stoßen, ausgestopft vorgesehen für die Empfangshalle eines osteuropäischen Unternehmens. Und „leider mit Zertifikat“.
Schließen
Zum Anfang

VI. Die Saubermänner

Zum Anfang

Aus dem Alltag der Wasserschutzpolizei: Gefahrgüter, Schrott für Afrika und manchmal ein Toter zwischen Fruchtpaletten

Vollbild
Hochkonzentrierte Aromastoffe für die Produktion von Badezusätzen: Gefahrgut. Kobald-60-Strahler für die Sterilisierung von OP-Besteck: Gefahrgut. Ein Container voller Tischtennisbälle: Gefahrgut; sie entwickeln, in der Masse, ein Gas. Fast 200 000 Container mit potentiell explosiver, ätzender, giftiger, leicht radioaktiver Ware werden jedes Jahr im Hamburger Hafen bewegt; mehr als 4000 davon zu kontrollieren, schafft die Wasserschutzpolizei.

Vor allem die undeklarierten Gefahrgüter sind eine Gefahr. „Das Problem ist, dass wir Unsichtbares aufspüren müssen“, sagt der Polizist Torsten Wrobel. Und das in einem Revier, in dem auch 520 Männer und Frauen etwas verloren wirken. Es umfasst die Elbe von der Geesthachter Staustufe bis zur Nordsee, dazu über 460 Kilometer Gleise im Hafen, 130 Kilometer öffentliche Straßen. Außerdem haben sich die Polizisten, das ist ihnen historisch so zugewachsen, gegebenenfalls auch mit den Kampfhunden von Zuhältern zu befassen, mit Alkoholpanscherei. Und mit Umweltdelikten.

Und mit dem Artenschutz. Kann sein, dass sie den Fahrer einer Ladung Horn von gewilderten Rhinozerossen erst an der Raststätte Stillhorn abfangen. Kann sein, dass sie ein Schiff stoppen müssen, weil das Ballastwasser auf ihm nicht mit UV-Strahlung gefiltert worden ist. Oder weil es, im Hafen verboten, Schweröl statt Diesel verbrennt, was bei einem Containerschiff unter liberianischer Flagge dazu führte, dass der Rauch noch in fast 1500 Meter Entfernung die Feuermelder einer Klinik aktivierte.

Es gebe keinen Tag, sagt Wrobel, an dem die Wasserschutzpolizei keinen Grund habe, sich um den Schutz eben des Wassers nicht zu sorgen. Mit insgesamt 29 Schiffen, vom Küstenstreifboot bis zu schnellen Schlauchbooten, ist die WSP unterwegs, mitunter ebenso wie die Zöllner vorgewarnt, kündigt sich ein „Rotschiff“ an. Eine Spezialkontrollgruppe checkt Verlader, Reedereien, Destinationen, sieht sich Schiffsankunftsdateien schon vier bis fünf Wochen im Voraus an.

Weniger geworden sind nur die „blinden Passagiere“. Der 2002 beschlossene internationale Sicherheitscode, der Gangway-Wachen vorschreibt und die Terminals hinter den Kaimauern zu Festungen macht, lässt kaum Gelegenheit zu heimlichen Fluchten. „Ein bis zwei Fälle pro Woche“ hatte die WSP früher, jetzt höchstens noch zwei im Jahr. Manchmal bergen sie einen Mann tot zwischen Frucht-Paletten.

Wichtiger ist da schon, was eine weitere Spezialabteilung der WSP bewegt: die illegale Ausfuhr von Elektroschrott. Allein 36 WSPler sind dem „unerlaubten Umgang mit Abfällen“ auf der Spur, die besonders gerne nach Afrika abgeschoben werden.
Schließen
Zum Anfang
Wie eine riesige Gewürzpalette: Der Hansaport schlägt täglich bis zu 150000 Tonnen Eisenerz und Kohle um. Förderbänder laden das Schüttgut auf Waggons, die es zum Beispiel zur Stahlproduktion nach Salzgitter und Eisenhüttenstadt transportieren
Zum Anfang

Vollbild
Routine-Einsatz mit Polizist Dirk Schwartz an einem Morgen auf dem O’Swaldkai, nach einem Pionier im Ostafrikahandel benannt: Ein Mehrzweck-Terminal, an dem auch Holz und Schwergut umgeladen werden, große Maschinen, sperrige Anlagen, daneben 400 000 Tonnen Südfrüchte im Jahr. Schwartz und seinen Kollegen interessiert der Parkplatz, an dem die „ConRos“ und „RoRos“ festmachen, Schiffe, die Container und rollendes Material aufnehmen können oder gänzlich wie Autofähren sind: roll on, roll off. Jedes Jahr gehen von Hamburg etwa 80 000 Fahrzeuge weg, die der TÜV Deutschland wohl nicht mehr durchwinken würde, die aber für Afrika noch als fahrtüchtig gelten. Kein Vorzeige-Terrain der cleanen Hafenwirtschaft, ein Geschäft aber von schlecht zu versteckender Größe.

„Checker“ streifen durch die Automassen, um zu prüfen, ob die Ware noch aus eigener Kraft in den Bauch eines der Schiffe der „Grimaldi-Lines“ zu bewegen wäre. Wenn nicht, kommen die „Pusher“ mit einem Nissan-Patrol, dessen Kühlergrill und Stoßstange mit alten Reifen gepuffert sind, um die Schrottlauben anzuschieben. Schwartz prüft an einem weißen „Kia Sportage“, der für eine Marie Outaiba in Mersin, Türkei, bestimmt sein soll, ob er nicht womöglich in Skandinavien gestohlen wurde. So etwas, sagt er, sei aber nur ihr „Beifang“. Wichtiger sei die Suche nach Verstößen gegen den „Straftatbestand Abfallverschiebung“, wozu auch Kleintransporter gehören, deren Kühlaggregate noch mit dem längst verbotenen FCKW arbeiten.

Wenn sie völlig verölte Fahrzeugteile wittern, glatt gefahrene Reifen sehen, VW-Busse, die voller merkwürdiger Gerätschaften „in loser Schüttung“ sind, wenn durch die Scheiben TV-Geräte zu orten sind, die garantiert nicht mehr nach intakten Röhren anmuten, dann lassen Schwartz und sein Kollege den Absender am Terminal antanzen: zum Auspacken der Ladung.

Sie können sich dann ein Bild von den Verwertungsgesetzen der Globalisierung machen. Was in Verden an der Aller nicht mehr zählt, wird nach Freetown, Sierra Leone, verschifft, nach Lagos oder Cotonou in Benin. Was die Deutschen nicht mehr wollen, eine veraltete S-Klasse von Mercedes zum Beispiel, wird in Beirut noch einen Menschen mit den Insignien westlichen Reichtums schmücken.
Schließen
Zum Anfang

VII. Im Tunnel

Zum Anfang

Der alte Weg der Arbeiter. Und freitags war immer „Lohntüten-Ball“

Vollbild
Immer freitags war „Lohntütenball“. Dann standen die Frauen der Hafenarbeiter vor dem Rundbau am Nordausgang des alten Elbtunnels, um ihren Männern das Geld abzunehmen, auf dass sie es nicht gleich auf der Reeperbahn locker machen konnten. Eine Sage? Es gibt Bilder. Die Männer stiegen aus Lastenaufzügen, die noch heute fahren. Oder stiegen die mehr als 130 Stufen hinauf. Die Männer gingen durch zwei 426 Meter lange Röhren, deren Spurbreite auf Pferdefuhrwerke ausgelegt war, denn auch die konnten den 1911 eröffneten Elbtunnel durchqueren; wie es bis heute sogar Autos können. Als die Werften noch brummten, die Stückgutfrachter noch von Hand entladen wurden, waren es 20 Millionen Fußgängerpassagen pro Jahr, 800 000 sind es bis heute.

Der Tunnel wird seit Jahren renoviert. 130 000 Tonnen Ballaststeine sind per GPS auf sein Dach befördert worden, um den etwaigen Auftrieb der Röhren zu verhindern. Nur etwa zehn Meter mittleres Niedrigwasser haben sie über sich, so wenig, dass ein Kreuzfahrtschiff wie die »Queen Mary 2« sie nur bei Hochwasser überqueren darf. Und bald 120 Jahre alte Stahlringe müssen saniert, hunderttausende Kacheln ersetzt werden.

Manchmal begleiten Psychoanalytiker Patienten mit klaustrophobischen Neigungen zum Anti-Angst-Training 24 Meter in die Tiefe. Manchmal ist der Tunnel Ziel von Freunden der modernen Schnitzeljagd, eine „Geocaching“-Attraktion. Bis 2009 haben sie hier auch Marathonläufe veranstaltet und 2005 einmal auf einem etwa 700 Meter langen Gleisparcours einen zwischenzeitlichen Weltrekord mit drei Modelleisenbahn-Lokomotiven und 887 Waggons aufgestellt.

Eine denkmalgeschützte Spielerei? Manchmal, bei Schichtbeginn und –ende bei „Blohm + Voss“, der letzten verbliebenen Großwerft in Hamburger Hafen, sieht es im alten Tunnel noch so aus, wie es wohl früher war. Wenn sich das Licht matt in den Kacheln spiegelt, wenn kein Lachen zu hören ist, kein Handy blitzt. Wenn er ein Untergrundpfad der Arbeiter ist.


Schließen
Zum Anfang
0:00
/
0:00
Zum Anfang

VIII. Erschütterungen ganz oben

Zum Anfang

Die Köhlbrandbrücke ist eines der wichtigsten Bauwerke im Hafen. Und gerade deshalb muss sie fallen

Vollbild
„Wir wollen zum lieben Gott, da ist es warm, deshalb haben wir keine Schuhe an.“ Der fünfjährige Junge, der das sagte, saß auf dem Schoß seiner lebensmüden Mutter. Die Mutter wollte mit ihm in den Abgrund springen, so wie es seit Eröffnung der Köhlbrandbrücke 1974 mindestens 80 Menschen schon taten. Einer jungen Polizistin und ihrem Kollegen gelang es, die Mutter auf dem Geländer zu beruhigen, ihre Arme zu fassen, sie und das Kind zu retten.

Es war eine Nacht im Dezember. Bei der Polizei wird sie in Erinnerung bleiben. Mehr sicher als jener 23-Jährige, der in einem Mercedes der S-Klasse offenbar vom Fliegen geträumt hatte, als er auf der Köhlbrandbrücke auf 221 km/h beschleunigte. Und mehr auch als die Frau, die während der Anfahrt von Höhenangst erfasst wurde, stoppte und ihre Panik im Rückwärtsgang bekämpfen wollte.

Für Geschichten dieser Art sorgt sonst kein Bauwerk in Hamburg. Auch für Rekordmeldungen war es immer gut. Es ist die zweitlängste Straßenbrücke Deutschlands, reichlich 3,6 Kilometer lang. 135 Meter hoch sind ihre Pylone. Ihren Sicherheitstest bestand die Konstruktion bei einem nächtlichen Konvoi von 58 mit Kies beladenen Lastwagen, die 2300 Tonnen Gewicht über die vierspurige Trasse fuhren. Aber schon zweieinhalb Jahre nach Fertigstellung zeigten Robotor-Messgeräte Rost an einigen der 88 Trageseile.


Schließen
Zum Anfang
Tomas Buhr, bei der Hamburg Port Authority zuständig für Brücken, kontrolliert das ­Innere der Köhlbrandbrücke, mit täglich 38000 Fahrzeugen die wichtigste Straßenverkehrsader des Hafens. Doch die Tragseilkonstruktion von 1974 ist marode; spätestens 2030 soll die Brücke ersetzt werden. Vielleicht durch eine noch höhere Brücke; geschätzte Kosten: eine Milliarde Euro
Zum Anfang

Vollbild
Seit 2012 besteht ein Überholverbot für Trucks, an mehr als 120 000 „Oberflächensanierungsstellen“ der Brücke musste inzwischen ausgebessert werden. Vor allem aber ist sie, obwohl in der Mitte 53 Meter hoch, eine Grenze für Schiffe, die mehr als 14 000 Container in den Mündungsarm der Süderelbe bringen. Größere kommen nicht unter ihr durch; damit ist ausgerechnet der Zugang zum Container-Terminal Altenwerder limitiert.

Und so ist eines der Hamburger Wahrzeichen zum Problemfall geworden. Die wichtigste Straßenverbindung im Hafen – 38 000 Kraftwagen täglich, gut ein Drittel davon Schwerverkehr – ist angezählt. Etwa 2030 soll sie ersetzt worden sein. Von einer um 20 Meter höheren Brücke. Oder einem Tunnel. Machbarkeitsstudien sind in Arbeit, Modelle einer optimalen Verkehrsflussplanung, die sich sogar an der Kardiologie orientieren. Es geht um neue Venen und Arterien im Organismus Hafen.
Schließen
Zum Anfang
0:00
/
0:00
Zum Anfang

IX. Die Unsichtbaren

Zum Anfang

Gefährliche Erlebnisse unter Wasser: das Tauchunternehmen des Stefan Frey

Vollbild
Unter Wasser ist die Sicht im Hamburger Hafen auf etwa einen halben Meter begrenzt, manchmal weniger, die Schwebstoffe reflektieren das Licht des LED-Strahlers auf dem Taucherhelm. Ringsum ist es dunkel. Es ist also kein Unterschied, ob Stefan Frey und Steffen, Patrik und Andre, sein Team, um Mitternacht zu einem Einsatz gerufen werden oder an einem Morgen. Ihre Ausrüstung kann bis zu 45 Kilogramm wiegen: die Rückenflasche, der Helm mit dem Mikrofon und der Kopfkamera, der Schlagbohrer, die Kettensäge, der Hydraulikstempel, der Schweißbrenner oder die Bohrlafetten, mit denen sie dann in einem Hafenbecken absinken. Auf zwei Meter, auf zehn, auf 15 Meter Tiefe.

Sie bohren dann Spundwände auf, zerschreddern Unterwasserbeton, sägen Pfeiler um. Sie nehmen Bodenproben, erledigen Videoinspektionen, suchen im Schlick nach dem abgefallenen Propeller des Schleppers »Hans«. Oder befreien die Schraube eines Kreuzfahrtschiffes von der Festmacherleine, die sich um sie gewickelt hat. Stefan Frey hat das in einer Nachtaktion erledigt; die 1800 Passagiere an Bord wären frustriert gewesen, hätten sie anderntags eine dieser beliebten Auslaufparaden beim Hamburger Hafengeburtstag verpasst.

Also hat er einige Stunden lang unter Wasser Leinen zerschnitten, mit einem „Victorinox“-Küchenmesser für sechs Euro. Das sind die vergleichsweise leichten Aufträge an Gewicht und Gefahrenlage, wenn er sich auf die Befehlskette an Bord verlassen kann und ein Propeller oder Seitenruder dann tatsächlich nicht bewegt wird, während ein kleiner Mensch da unten zwischen dem Schwermetall zugange ist.

Allerdings ist das dem vierköpfigen Team von „Taucher-Frey“ auch schon passiert, und es ist ungemütlich, dann weit unter dem Wasserspiegel gerade hinter, nicht vor dem Drahtgeflecht zu sein, das die Schiffe vor den Bugstrahlrudern haben; es ist dann wie in einem Käfig, in dem sich massiver Stahl plötzlich zu bewegen beginnt. Manchmal, sagt Frey, muss der Mann auf der »Alina 1«, von der sie ihre Unterwasseraktionen starten, auf der sie ihre Luftreserven und Tiefenkontrolle haben und auf der sie auf Monitoren verfolgen können, wie es ihrem Mann da unten geht, mit möglichst entspannter Stimme für Beruhigung sorgen.
Schließen
Zum Anfang
Wenn Hafentaucher Stefan Frey im zwei Grad kalten Elbwasser Bodenproben nimmt, schleppt er 45 Kilogramm Ausrüstung mit. Die schützt ihn auch, wenn es gilt, den Propeller eines Containerschiffs zu reinigen, während es beladen wird – 16 Stunden Arbeit, Sichtweite: etwa ein halber Meter
Zum Anfang

Vollbild
Man sehe es ja, sagt Frey, wenn die „Bewegungen des Tauchers hektisch werden“, dass er sich dann „unwohl“ fühle. Und man höre es auch an der Atmung. Dann helfe es, zu sagen „Du, Andre, komm einfach mal hoch.“ Und „dann ist der auch wieder resettet“.

Obwohl es natürlich immer um Tempo geht, sie bis zu sechs Stunden am Tag auf maximal zehn Meter Tiefe arbeiten dürfen und im Schichtverfahren bis zu 16 Stunden den Propeller eines Containerschiffs polieren, während das gerade beladen wird. Oder nach Korrosion und Rissen in Schiffsleibern suchen. Was ebenfalls dauern kann. Zumal wenn die so groß sind, dass sie nicht einmal durch den Panama-Kanal passen. Trotzdem: Nur Fische anzuschauen, wäre Stefan Frey zu langweilig. Er hat das mal als Jugendlicher im Roten Meer gemacht, war dann bei der Marine, wollte Kampfschwimmer werden, was am Einspruch der Freundin scheiterte, und nun taucht er seit 18 Jahren im Hamburger Hafen.  

Man muss kräftig dafür sein, denn einen Vorschlaghammer zu bewegen, erschöpft nach fünf Schlägen, wenn man ihn wie durch eine Honigmasse treiben muss, des Widerstands im Wasser wegen. Und nicht zu Platzangst sollte man neigen, wenn sich der Einsatzort unter einem Bullcarrier mit 14 Meter Tiefgang, 300 Meter Länge und 40 Meter Breite befindet. „Das kann schon beklemmend sein“, sagt Frey, „aber über die Jahre verflüchtigt sich das ein bisschen.“ Auch bei Wassertemperaturen von zwei Grad. Ungut sind nur Springtiden, wie sie in der Elbe manchmal vorkommen, wobei das Wasser dann plötzlich mit drei Metern pro Sekunde fließt und einen Taucher irgendwo hindrückt, wohin er nicht will. In ein Gewirr aus Betonierschläuchen, zum Beispiel, durch die das Unterwasserdach des Elbtunnels armiert werden sollte.

Frey wurde schließlich mitsamt einem Rohr im Zeitlupentempo an die Oberfläche gezogen. Ist eine Weile her. Er kommt morgens mit einem Lächeln auf sein Betriebsgelände im Schatten der Köhlbrandbrücke. Er mag „die Bodenständigkeit der Menschen“, mit denen er im Hafen zu tun hat, ihre Professionalität, ihren Pragmatismus. Ihr knappes „Moin“, ihr schnelles „Du“. Und das „24/7“, das im Hafen gilt: Bereitschaft zu jeder Stunde einer Woche. Auch am Weihnachtstag.
Schließen
Zum Anfang

X. Der Schlepper

Zum Anfang

Wenn die Kleinen die ganz Großen zähmen: an Bord des Schleppers »Michel«

Vollbild
Nie würde er auf die Idee kommen, den Hafen ein „Haifischbecken“ zu nennen, wie es andere tun. Olaf Vock ist ein ruhiges Naturell. So sanftmütig, wie er friesisch von „Ostenwind“ und „Westenwind“ spricht, so liebevoll würde er wohl auch die Schweinswale betrachten, die manchmal auf der Jagd nach dem Stint zwischen den Schiffen auftauchen. Dabei bewegt Vock ein Kraftpaket mit etwa 6900 PS, 29 Meter Länge, 13,5 Meter Breite und fünfeinhalb Meter Tiefgang: den »Michel«.

Der bullige Schlepper, 2014 in Rumänien gebaut, ist per Joystick zu dirigieren, hat eine Zugkraft von 80 Tonnen und verfügt über Leinen, die bald das Dreifache halten. Wichtig für das Dreierteam – Kapitän, Decksmann, Maschinist -, das jeweils eine Woche rund um die Uhr Dienst auf einem solchen Schlepper leistet, ist der „Verschlusszustand“ bei Einsätzen. Die komplette Abdichtung aller Türen und Luken bewirkt, dass sich Schlepper wieder aufrichten können, selbst wenn sie bei einem Manöver, bei dem sie ein zehnmal so großes Schiff an der Leine haben, um 90 Grad auf die Seite kippen.



Schließen
Zum Anfang
Per Joystick navigiert Kapitän Olaf Vock seinen Schlepper »Michel«, 6900 bullige PS. Viel Fingerspitzen­gefühl ist gefragt, um die Containerriesen im Hafenbecken an ihren Platz zu bugsieren. Wichtiger als die rohe Kraft von »Michel« ist dafür Kapitän Vocks friesisch ruhiges Naturell
Zum Anfang

Vollbild
Einen Schleudergang dieser Art hat auch Vock mal erlebt, ein Mann ging über Bord. Dagegen gehört zur Routine der zwei bis fünf Einsätze pro Tag das Beherrschen von Vorgängen, die völlig unscheinbar anmuten, obwohl ungeheure Kräfte im Spiel sind. An diesem Morgen hat Vock die 399 Meter lange »Murcia Maersk« mit einer Tragfähigkeit von 210 000 Tonnen an die Leine zu nehmen. Zwei weitere Schlepper werden das ebenfalls tun. Die „Aufkommer“ werden dem Planer etwa sechs Stunden vorab angekündigt.

Vock startet so, dass er den Container-Riesen elbabwärts schon etwa 30 Kilometer vor dem Hafen eskorieren kann, zunächst noch nicht mit ihm über die Schleppleine verbunden, sondern auf die Befehle der Lotsen wartend. Dann muss er den »Michel« bis auf wenige Meter an die 58 Meter breite Rückfront der »Murcia Maersk« heranführen, die sich wie eine gigantische hellblaue Stahlwand vor der gläsernen Führungskuppel des Schleppers aufbaut.

Es ist ein ruhiger Tag. Zwei Boote der Wasserschutzpolizei sperren den Strom für das Manöver, die »Murcia Maersk« in ein Hafenbecken zu drehen; über Ukw-Kanal 74 ist Vock mit der Brücke und den Kapitänen der beiden anderen Schlepper verbunden, „voll achteraus, Michel“ heißen die Kommandos, „voll backbord, Michel“ und „vier Strich steuerbord lose“. Zusammen etwa 15 000 PS arbeiten nun an dem Containerschiff, das manövierunfähig wäre, würde es die eigenen Maschinen abschalten. Und das auch von 15 000 PS nicht zu halten wäre, würde der Wind zu stark auffrischen. Aber Vock, kurzärmeliges T-Shirt, Jeans, sitzt vor seiner Elektronik- und Videolandschaft, hat die Hand an den Steuerknüppeln, als regle er eine Spielzeug-Eisenbahn. Und nicht eine Einfahrt, die leicht auch das gesamte System außer Kraft setzen könnte, würde nur einer einen Fehler machen, eine Sekunde lang unaufmerksam sein. Würde nur einmal ein technisches Detail versagen.

2016 war es fast soweit: Da lief östlich der Insel Lühesand die »CSCL Indian Ocean« auf Grund und war erst nach fünf Tagen von schließlich zwölf Schleppern während einer Springflut in der Elbe wieder freizubekommen. Eine falsche Verkabelung hatte die Ruderanlage blockiert. Die Lotsen waren machtlos. Glücklicherweise versperrte das 400 Meter lange Schiff nicht die Fahrrinne, glücklicherweise brach es nicht auseinander, glücklicherweise verlor es kein Öl. Alles das hätte den Stillstand im Hafen bedeuten können, an dem mehr als 150 000 Arbeitsplätze hängen.
Schließen
Zum Anfang

XI. Nostalgie

Zum Anfang

Volle Fahrt voraus in die Vergangenheit: das zweite Leben der »MS Bleichen«

Vollbild
„Alles Jungs, die früher noch Säcke geworfen haben“ – und nun sind sie „Hafen-Senioren“. Ehrenamtlich halten sie die Erinnerung an Kesselreiniger und Winschmänner hoch. An den Salpeterhandel. An die Hafenbecken, die zugeschüttet wurden. An die Schuten, die alten Schuppen, die alten Kräne. Ihr Schmuckstück am Kai des Hafenmuseums: die »MS Bleichen«, ein Stückgutfrachter von 1958, einst in der Westafrikafahrt eingesetzt, zuletzt im Schwarzen Meer unterwegs, 2007 von einer Stiftung nach Hamburg geholt. „War ne Tropfsteinhöhle“, sagt einer der Ehrenamtlichen, „der Rost flog rum wie Hühnerkacke.“ In 70 000 Freiwilligenstunden aufgemöbelt. 60 Tonnen Stahl ausgetauscht. Ein Zahnarzt hat seine Bohrer mitgebracht für einige heikle Plombierungen an der alten Maschine.

Und nun legt die »MS Bleichen« erstmals nach elf Jahren feierlich ab. Alle Gerätschaften an Bord, vom Steuerruder bis zur 1 800-PS-Maschine: neuerlich TÜV-geprüft, aber auch vom Denkmalschutz. Der Mann am Ruder, in rotem Overall und mit Fellmütze auf dem Kopf, fuhr hier einst als dritter Offizier. Um ihn herum: lauter Männer mit Kapitänspatent, Lotsenerfahrung, Maschinistenvergangenheit, von denen die meisten noch wissen, was Fettkeller und Rattenwache bedeuten, Faulenzer, Eiserner Gustav und Eulen fangen, Bunk, Bongo und China-Max.

Die »MS Bleichen« verfügt noch nicht über Bug- und Heckstrahlruder, und 40 Sekunden dauert es, bis die Maschine auf das Kommando „achteraus“ reagieren kann. Aber „Sie sehen mich lächeln“, sagt Kapitän Michael Nicolaysen. Und „so sieht ein Schiff aus!“ So!

Unterdessen reißt einer, der auch mal Kapitän war, mit Begeisterung die Türen der Kabinen auf. Das Krankenzimmer hatte eine Klapptür für den Fall, „dass einer mal etwas steif gestorben ist“. Und hier war die Kammer für den Steward, „den Verlobten des Kapitäns“. Und dort die Gemeinschaftsdusche: „Spare Wasser, dusch mit einem Freund.“ Und gab es Lebensvieh an Bord? „Nee, nur Sackratten.“ Und nur der erste Offizier hatte ein eigenes Waschbecken. Und der Mannschaft wurde das Essen in Henkelmännern aus der Pantry gebracht. Und ein Kapitän schlief nie, „er ruhte nur“. Und wenn sie auf den Kapverden festmachten, wurde die Back ausgeräumt, das Vorschiff, damit die Hafengangs dort schlafen konnten: „notfalls auf Stroh“.
Schließen
Zum Anfang
0:00
/
0:00
Zum Anfang

XII. Die Manager

Zum Anfang

Schneller, mehr und digital: die Zukunftsträume der Hafenverwaltung

Vollbild
Es gibt vieles, was den „östlichsten Überseehafen“ Nordeuropas, den „westlichsten Großhafen“ Osteuropas stark macht. Er ist der größte Eisenbahnhafen auf dem Kontinent; allein zwölf Prozent des gesamten deutschen Güterverkehrs werden über ihn abgewickelt. Er ist der wichtigste Fruchthafen Deutschlands, der größte Kaffeehafen Europas. Tausende Logistikunternehmen sind in der Nähe angesiedelt, etwa 100 Liniendienste steuern Hamburg an, seine „Hinterlandanbindung“ über Autobahnen und Schienen ist gut, der Nord-Ostsee-Kanal macht Hamburg zur Verteilerstation für Ladung, die auf Zubringern, den „Feederschiffen“, bis in den baltischen Raum geht.

Dennoch ist der Hafen von Rotterdam, direkt am Meer gelegen, magnetischer für den globalen Handel geworden, hat auch der Hafen von Antwerpen höhere Umschlagszahlen. Im Baltikum und an der Adria rüsten Häfen auf; der Gotthard-Basistunnel hat den Warenverkehr vom Süden nach Mitteleuropa einfacher gemacht, China zum westlichen Ende seines Mega-Projekts „Neue Seidenstraße“ den Binnenhafen von Duisburg auserkoren.

Was tun? Das überlegen sie bei der Hamburg Port Authority (HPA), dem Besitzer von etwa 95 Prozent der Hafenfläche, ebenso wie bei der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA), dem größten Mieter von Hafenanlagen, dem größten Beweger von Frachten. Die Gegenwehr heißt: Das Hafensystem intelligenter, schneller, effektiver zu machen. Mit Virtual-Reality-Verfahren bei Bauprojekten, erneuerten Brücken, Sensorik für Container, Wasserdrohnen zur Tiefenmessung, GPS-Sendern für Hafenschiffe, Datenloggern in der Ladung. Expertenteams der HPA experimentieren am „Internet der Dinge“ für „das gesamte Ökosystem Hafen“, wie der Informatiker Hendrik Roreger sagt: an kommunizierenden Kaimauern, Schleusen, Ampeln, Barkassen. Zugleich soll der Verkehr rationeller gesteuert werden; durch Zugsharing, selbstfahrende Lastwagen.

Und vorbereitet sein soll Hamburg auch auf die zu erwartenden Verschärfungen der Umweltgesetze für Schiffe: Mit „Powerpacs“, containergroßen Energiespendern, betrieben mit verflüssigtem Erdgas, und Stromanschlüssen zur Vermeidung des Dieselbetriebes während der Liegezeiten der Schiffe. Mit jetzt schon gewährten und absehbar bis zu 20-prozentigen Rabatten beim Hafengeld für emissionsarmen Verbrauch, doppelwandige Tanker und, auch wenn es die noch kaum gibt, Nutzer der Landstromversorgung.
Schließen
Zum Anfang
Prunkvoller Bau im Herzen der Speicherstadt: Bei St. Annen 1 ist Sitz der Hamburger Hafen und Logistik AG
Zum Anfang

Vollbild
Zu Hellsehern macht das alles die Hamburger Hafenmanager aber nicht. Ist damit zu rechnen, dass der Welthandel, wie in den vergangenen Jahren, stets stärker steigt als das allgemeine Wirtschaftswachstum? Dass in weiteren 50 Jahren der Container-Verkehr auf den Ozeanen um bis zu fünfmal höher als heute sein wird, von Schiffen transportiert, die das Zweieinhalbfache der gegenwärtigen Höchstlasten tragen, wie in einer Studie von McKinsey zu lesen?
Oder hat der Ökonom Thomas Straubhaar Recht, wenn er den gigantomanischen Containerschiffen weissagt, bald zu den „Dinosauriern der Wirtschaftsgeschichte“ zu gehören, unter anderem, weil der 3D-Druck zum großen „game changer“ werde; weil er es demnächst überflüssig machen werde, Turnschuhe aus China zu beziehen, wenn sie an jedem Platz der Welt genauso günstig zu produzieren sein werden.

Dennoch: Bis 2019 werden 30 weitere Containerschiffe der zur Zeit größten Klasse vom Stapel laufen, solche, die weder vollbeladen nach Hamburg kommen noch von hier auslaufen können. Die weltgrößte Reederei, die dänische Maersk, hat Hamburg bereits vom Fahrplan für ihre Riesen im Karibik-Dienst gestrichen.

Und deshalb heißt der Traum der Hafenwirtschaft: Fahrrinnenvertiefung. Er wird seit 2006 geträumt. Er ist „die Story“, die der Hafen Hamburg nach Ansicht vieler benötigt. Es wird die neunte Vertiefung der Elbe seit 1818 sein; die letzte wohl, sollten die Tunnel nicht in Gefahr geraten. In einer tieferen Fahrrinne könnten Schiffe dann 1500 bis 2000 Container mehr an Bord haben.

Es gibt da nur ein Problem.
Schließen
Zum Anfang

XIII. Der Endemit

Zum Anfang

Ein Kraut, das Wasser-Ökologie und Hafen-Ökonomie zu Feinden macht: vom Schierlings-Wasserfenchel und der Fahrrinnenvertiefung

Vollbild
Das Problem heißt Schierlings-Wasserfenchel, wissenschaftlich Oenanthe conioidis, ein Doldenblütler, der eine spezielle Verzahnung von terrestrischem und aquatischem Lebensraum braucht und nur an einer einzigen Stelle weltweit wächst: elbaufwärts jenseits der Brücken, die nur noch von Binnenschiffen unterquert werden können, und der Staustufe Geesthacht, an der der Einfluss der Nordsee endet. Der Schierlings-Wasserfenchel, so unscheinbar, dass er von Hobbygärtnern wohl achtlos entwurzelt würde, spielt die Hauptrolle in einem Drama, das Stadtregierung, Hafenwirtschaft, Reeder, Logistiker, Kapitäne, Lotsen zwölf Jahre lang in Verzweiflung gestürzt hat. Denn vor allem um ihn hat sich der Widerstand von Umweltverbänden gegen eine weitere Elbvertiefung gerankt. Manfred Braasch vom BUND nennt das Gewächs einen „botanischen Pandabären“. Er verweist auf die „Fauna-Flora-Richtlinie 92/43/EWG“ der Europäischen Union, die den Biotop-Erhalt einer solchen Pflanze unter allen Umständen verpflichtend macht, „prioritär“.

Eine Elbvertiefung aber, so argumentieren BUND, WWF und Nabu, werde das „tidal pumping“ verstärken, mit jeder Flut das salzige Nordseewasser noch mächtiger die Elbe hinaufdrücken und so den Lebensraum von Oenenathe conioidis zerstören. Und mehr noch: die „selbstregulatorischen Kräfte“ der Elbe insgesamt.

Die Planungsunterlagen: fast 50 Leitz-Ordner dick. Der Planfeststellungsbeschluss: 3000 Seiten lang. 7000 Einwendungen sind abgearbeitet worden. In einer Zeitung war von einer „vegetarischen Justiz“ die Rede, die über Dekaden „gewuchert“ sei und eines „der wichtigsten Entwicklungsprojekte Deutschlands“ aufgehalten habe. Auch der mit dem Fall auf Seiten der Hamburg Port Authority befasste Biologe Jörg Oellerich leidet unter den „kafkaesken Dimensionen“ des Falles. Er ist beteiligt an dem mehrere Millionen Euro teuren Vorhaben von Hydrologen, dem Schierlings-Wasserfenchel eine Ersatzheimat in einem Wasserbecken- und Kanalsystem zu schaffen: der Durchbruch vor Gericht, Ende 2018 schließlich erfolgt. Es darf nun, trotz weiterer Einsprüche der Umweltschützer, gebaggert werden.
Vermutlich mehr als 600 Millionen Euro wird es kosten, die geplanten 40 Millionen Kubikmeter Masse aus der Fahrrinne der Elbe zu heben. Nur wird sich Hamburg von einer anderen Last im Hafen dann dennoch nicht befreit haben: von den mit jeder Flut angeschwemmten Sedimenten. 1989 mussten Bagger etwa zwei Millionen Kubikmeter Schlamm aus dem Hafen saugen, 2016 waren es bereits fast elf Millionen.

Wohin damit? Eine Fächerecholot-Technik soll die Konsistenz der breiigen Masse besser bestimmen helfen. Was aber nicht heißt, dass sie deshalb weniger würde. Ein Teil des Zeugs landet im Finkenwerder Vorhafen, wo schadstoffbelasteter Schlick von unbelastetem Sand getrennt und entwässert wird. Die Anlage verdaut etwa zwei Millionen Kubikmeter pro Jahr. Eine ähnliche Menge wird jährlich zur sieben Fahrstunden entfernten Tonne „E 3“ vor Helgoland chauffiert. Zweimal im Jahr müssen Biologen, Bodenkundler, Geologen dort Proben in 30 Meter Tiefe nehmen, um unter anderem an Muscheln und Kleinstlebewesen zu analysieren, was die Entsorgung aus dem Hamburger Hafen für das nationalparknahe Biotop bedeutet.

Der meiste Schlick aber, etwa zwei Drittel der Gesamtmenge, kann nur bis Neßsand, einer unter Naturschutz stehenden Insel in der Unterelbe, verfrachtet werden – und wird von dort in Richtung Hafen zurückgespült. Ein Kreislauf, aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint. Nach einem „Schlachtplan gegen den Schlamm“ wird gerufen. Nur hat ihn keiner.
Schließen
Zum Anfang

XIV. Ausfahrt

Zum Anfang

Die »Al Dahna«, der Hafen Hamburg, die Globalisierung

Vollbild
Nachts, wenn alle Positionslichter an den Terminals leuchten, an den Kränen und in den Containerbuchten der Schiffe, sieht es aus, als sei ein Sternenhimmel auf die Erde gesunken. Es ist 22 Uhr, die »Al Dahna« liegt am Burchardkai, noch wird sie beladen. Ihr nächster Hafen: Rotterdam.
Die »Al Dahna« gehört Hapag Lloyd, der weltweit fünftgrößten Reederei, einem Unternehmen, das eine besondere Vergangenheit in Hamburg hat. Groß gemacht hat es Albert Ballin, 1857 in Hamburg geboren, ein Mann, mit dem ein wichtiges Kapitel deutscher Auswanderergeschichte ebenso verbunden ist wie der Beginn der modernen Kreuzfahrt. Hamburg, sagt der Kommunikationschef von Hapag Lloyd, Nils Haupt, „hat immer noch eine emotionale Komponente für uns“. Hamburg, sagt der Flottenmanager Richard Freiherr von Berlepsch, „ist unser Heimathafen“.

Aber was heißt Heimat? Die Stadt hält einen etwa 14-prozentigen Aktienanteil an Hapag Lloyd. Etwa 1400 der weltweit rund 12 000 Beschäftigten arbeiten am Standort Hamburg. Das örtliche Auswanderermuseum heißt „BallinStadt“. Die Zentrale liegt am Ballindamm. Und Hapag Lloyd ist auch an den Einnahmen des Container-Terminals Altenwerder beteiligt. Längst aber ist Hapag Lloyd ein internationales Konglomerat, hat eine chilenische und eine arabische Reederei hinzugekauft. Es betreibt 221 Containerschiffe mit einem Fassungvermögen von 1,6 Millionen Containern in 124 „loops“, Liniendiensten. Es hat sich damit zu befassen, wie sich die Konsumansprüche der indischen Mittelklasse verändern und wie es auf den erwachten Heißhunger der Chinesen auf Kirschen, Blaubeeren und Avocados reagieren kann.

Es hat sich mit einem Markt zu befassen, auf dem es Überkapazitäten, steigende Treibstoffpreise, sinkende Frachtraten gibt. Waren Investitionen in Schiffe einmal so verheißungsvoll, dass sie als „no brainer“ galten, als fast schon idiotensichere Profitgarantie, so würden Schiffsmanager, wenn irgend möglich, inzwischen wohl gerne auch noch den Koch an Bord einsparen. Gebaut werden die Mega-Schiffe heute in Südkorea, finanziert in China. Und gerade noch 180 Seeschiffe fahren überhaupt noch unter der Flagge der Bundesrepublik. Und die Werften im Hamburger Hafen: schon lange keine Geburtststätte mehr für die großen Dampfer.

Da wirkt es schon verklärt, wenn der Hamburger Flotten-Manager von Berlepsch von einer „emotionalen Branche“ schwärmt, von einer „gewissen Leidenschaft“, ohne die noch heute niemand an Bord gehen könne. Bei Hapag Lloyd verweisen sie nicht ohne Stolz auf einen ihrer Kapitäne, Bernd Etzien, der die »Chicago Express« vor dem herannahenden Tropensturm „Hagupit“ in sicheres Gewässer weg von den gefährlichen Küsten der Inseln vor Hongkong bringen wollte. Aber Windstärke zehn und mehr und acht Meter hohe Wellen ließen die Brückenbesatzung wie Kegel umherfliegen. Einer starb, Etzien überlebte schwerverletzt, lag monatelang in Krankenhäusern, dann lange in einer Reha-Klinik, um sich bald zwei Jahre nach dem Unglück schließlich zurück auf die Brücke eines 366-Meter-Schiffes zu kämpfen. Eben eine „emotionale Sache“.
Schließen
Zum Anfang
Im Maschinenraum der »Guayaquil Express« - eines von mehr als 220 Containerschiffen der Hapag-Lloyd-Flotte. 1,6 Millionen Container fassen die Kolosse zusammen und sie stehen unter ständiger Beobachtung. Denn nach dem Ausschalten aller Systeme an Bord würde es Monate dauern, sie allesamt wieder anzuwerfen
Zum Anfang

Vollbild
Abends auf der »Al Dahna«. Emotionen sind der Mannschaft nicht anzumerken. 27 Mann. Aus Russland, Indien, Ägypten, Syrien, Pakistan, dem Irak, Jordanien und von den Philippinen kommen sie. Der Kapitän, Andrzej Spisak, ist Pole. Er ist immer drei Monate an Bord, dann drei Monate zuhause; zwölf Stunden am Stück darf er auf der Brücke stehen, die Mannschaft arbeitet im 4:8-System, drei Wachen teilen sich je Vierstunden-Schichten in Doppelbesetzung. Es wäre fatal, würde ein Rudergänger zwischen Mitternacht und vier Uhr morgens zu müde werden; das Schiff wiegt schon leer 58 000 Tonnen, und bei einem Treibstoffverbrauch von 150 Tonnen am Tag wären auch kleine Kursabweichungen auf offener See einen Eintrag ins Logbuch wert, weil teuer.

Von der Jungfernfahrt bis zum Abwracken ist ein Schiff wie die »Al Dahna« in keiner Sekunde unbeobachtet; nicht an Bord und nicht da draußen. An Bord, weil es nach dem Ausschalten aller Systeme, nach „dem kalten Auflegen“, ein halbes Jahr dauern würde, sie allesamt wieder anzuwerfen. Und da draußen, weil es zum Beispiel auch im Hamburger Hafen und auf der Elbe Geschwindigkeitskontrollen gibt; per Lasermessung von der Wasserschutzpolizei vorgenommen. Mehr als zehn Knoten, 18,52 km/h, sind im Hafen nicht erlaubt. Klar, dass an Bord Alkoholverbot herrscht, schon wegen des arabischen Ursprungs der »Al Dahna«. Auch die Waffen, die ein Kapitän früher im Schrank hatte, gibt es nicht mehr; auf Betreiben der Versicherungen.

Emotionen? Er müsse, sagt Kapitän Spisak, ein generell sehr verhaltener, schweigsamer Mann, im Notfall auch „Lehrer, Richter, Priester, Doktor und Polizist“ sein, irgendwo da draußen, „in der Mitte des Nichts“, wenn es trotz Tischtennis, Basketballfeld und Fitness-Halle, wenn es trotz täglich zweistündiger Freischaltung des Internets für die Crew zu kleinen Konflikten komme. Aber das sei selten. Denn wer auf solchen Schiffen fahre, habe nicht den Ukraine-Russland-Konflikt im Kopf, auch wenn er aus der Ukraine oder Russland komme. Sondern die Versorgung des Diesels, die windbedingte Abdrift, die Festigkeit der sieben Stockwerke hoch geladenen Container. Und sicher auch die Heuer, ausgezahlt in Dollar, etwa 1600 für einen Bootsmann.

Auslauf, immerhin, gibt es auf solchen Schiffen. Senkrecht, weil sich die Brücke 50 Meter über dem Wasser befindet. Und in der Horizontale. Würde er wirklich alles inspizieren, was er könnte, sagt der an Bord befindliche technische Inspektor, müsste er eine Strecke von 45 Kilometern ablaufen.
Es dauert keine 30 Minuten von der Beladung mit dem letzten Container bis zum Ablegen vom Terminal. Hafenlotsen sind an Bord; und auch schon die Elblotsen, die die Fahrt der »Al Dahna« bis Brunsbüttel begleiten werden. Redundanz-Prinzip, wie bei jedem Vorgang im Hafen. Immer Zweifach-Kontrolle. Zwei Schlepper ziehen die »Al Dahna« in den Strom. „Ist schon sehr eng“, sagt Spisak, bleibt aber so ruhig, als würde er gerade das Ausparken eines Smart erleben. Natürlich weiß er, wie auch der Hafenkapitän, wie auch die Lotsen, um den Bernoulli-Effekt, ein hydrodynamisches Paradoxon, das bei zwei Schiffen auf Parallelkurs wegen eines spezifischen Ansaugvorgangs zur Kollision führen kann. Aber das ist das kleine Ein-mal-eins.

Wir gleiten mit 4,6 Knoten in den Strom hinaus, tief unter uns ist das Blaulicht der Wasserschutzpolizei zu sehen. Mit dem Wunsch auf „sichere Reise“ verabschieden sich kurz nach elf Uhr die Hafenlotsen, bei Schulau dann die Schlepper. Wir fahren auf einem langen ruhigen Fluss, und das könnte einschläfernd sein, würden nicht alle 30 Sekunden die Kommandos jenes Mannes aus der Elblostenstation kommen, der den Männern an Bord kleine Kurskorrekturen vorgibt.


Schließen
Zum Anfang
Wer sich im Ausflugsboot zu den Container­schiffen gondeln lässt, legt unwillkürlich den Kopf in den Nacken: bis zu 400 Meter lang sind die größten der Kähne, die im Hamburger Hafen festmachen – unfassbar für menschliche Alltagsdimensionen; und viel zu groß für den Smartphone-Bildschirm
Zum Anfang

Vollbild
Denn das gefürchtete „blaue Wasser“, das Wasser, das über Bord schlagen kann mit der Kraft, auch Metallkonstruktionen auseinanderzureißen – es ist hier zwar weit. Aber auch auf der Elbe haben selbst kleinste Fehler die Eigenschaft, wie es der Hafenkapitän sagt, „nach oben durchzueskalieren“.
Von Rotterdam wird die »Al Dahna« Kurs auf Singapur nehmen, durch den Suezkanal. Singapur. Qingdao, Tianjin, Dalian, Shanghai, Jebel Ali, Port Said, Tanger, Southampton, Le Havre. Alles so weit. Alles so nahe. Alles so wichtig für den Hamburger Hafen. Alles Orte, hinter denen die Handelspartner leben. Alles Orte, an denen über das Schicksal des Hamburger Hafens und damit über den Weg der zweitgrößten Stadt Deutschlands in die Zukunft entschieden wird.

Rund eine Stunde vor Mitternacht am Tag nach dem Auslaufen aus Hamburg macht die »Al Dahna« im Rotterdamer Hafen fest. Im Logbuch vermerkt der 1. Offizier, dass der Befehl erst lautete, rückwärts an der Kaimauer festzumachen. Dann aber doch vorwärts. Das zeitaufwändige Wendemanöver wird die Versicherungen beschäftigen. Und das „Bunkering“, der mehrstündige Betankungsvorgang der »Al Dahna«, den russischen Chief Engine Officer, obwohl seine geröteten Augen zeigen, dass er sicher gerne schlafen würde. Aber es geht um Treibstoff im Wert von zwei Millionen Euro.

Würde der Lieferant ein paar Tonnen weniger als berechnet in die »Al Dahna« pumpen, wäre das fast schon ein Bagatellvergehen, sagt Kapitän Spisak. Aber leider gebe es in fast jedem Hafen der Welt Versuche, in viel größeren Dimensionen zu betrügen.

Ach, Charles Aznavour, Lale Andersen, Seeräuber-Jenny, Jacques Brel: Im Hafen, da sind nicht mehr die Matrosen, die „sich im Kreise drehen“ und „tanzen wie spuckende Sonnen“.

Die Matrosen habe nun anderes zu tun.
Schließen
Zum Anfang
0:00
/
0:00
Zum Anfang

Making of

Making of: So entstanden die Hafen-Bilder

Der italienische Fotograf Luca Locatelli wurde für seine Fotos von technischen Großanlagen vielfach ausgezeichnet. Wie er den Hamburger Hafen ins Bild setzte, sehen Sie in diesem Video.

0:00
/
0:00
Video jetzt starten
Zum Anfang

Credits

Text 
Peter-Matthias Gaede

Fotos
Sämtliche Bilder stammen von Luca Locatelli
(Ausnahmen: Startseite Kapitel VI, Oliver Rohé; Kapitel XI & XII, Malte Joost; Kapitel XIII, imago images/blickwinkel; Startseite Kapitel XIV, Krisztian Bocsi/Bloomberg via Getty Images)

Infografik
Tim Wehrmann

Videos
Luca Locatelli (Drohnenvideos)
Roman Pawlofski (Making of)

Multimedia-Umsetzung
Jan Henne
Zum Anfang
Scrollen, um weiterzulesen Wischen, um weiterzulesen
Wischen, um Text einzublenden
Schließen
Übersicht
Nach links scrollen
Kapitel 3 II. Container

Container

Kapitel 4 III. In der Wärmestube

In der Wärmestube

Kapitel 5 IV. Am Dirigentenpult

Am Dirigentenpult

Kapitel 6 V. Die Abfangjäger

Die Abfangjäger

Kapitel 7 VI. Die Saubermänner

Die Saubermänner

Kapitel 8 VII. Im Tunnel

Im Tunnel

Kapitel 9 VIII. Erschütterungen ganz oben

Erschütterungen ganz oben

Kapitel 10 IX. Die Unsichtbaren

Die Unsichtbaren

Kapitel 11 X. Der Schlepper

Der Schlepper

Kapitel 12 XI. Nostalgie

Nostalgie

Kapitel 13 XII. Die Manager

Die Manager

Kapitel 14 XIII. Der Endemit

Der Endemit

Kapitel 15 XIV. Ausfahrt

Ausfahrt

Kapitel 17 Credits

Credits

Nach rechts scrollen